Die Liebe zum Leben.

 

 

Sie

ist eine Dame.

 

Die Liebe zum Leben ist alt.

 

Sehr alt

so alt wie das Leben selbst

möchte man meinen

und dabei – das mag wohl paradox erscheinen –

strotzt ihr Herz vor jugendlicher Kraft

steht seit eh und je

in voller Blüte

und ist dabei nicht aus der Ruhe

noch aus dem Takt zu bringen.

 

Diese erstaunliche Mischung

macht aus der Liebe zum Leben

eine ganz wundersame Erscheinung:

Sie bewegt sich anmutig

ohne eine Spur von schlurfiger Niedergeschlagenheit

Der Rhythmus ihrer Schritte ist ein zielstrebendes Federn

dabei hat sie selten ein bestimmteres Ziel

als erst mal den nächsten Schritt

und wieder den nächsten und dann den nächsten

und angesteckt davon

flattert ihr silbrig glänzendes Haar keck gekräuselt um ihr Gesicht

 

Ihr Gesicht –

eine Geschichten-Galerie:

zahllose Falten und Furchen und Spuren

von jahrelangem Lachen, Lächeln, Schmunzeln

Falten vom Staunen, Wundern, Runzeln

vom Überrascht sein, bedacht sein

und von der Eigenart, immer so zu erzählen,

dass dabei das ganze Gesicht miterzählt

 

In ihren Augen

eine wissende, weise Tiefe

und Du fragst Dich, was sie gesehen haben müssen,

um so auszusehen.

Ihr Blick spricht unbändig, überbordend von etwas,

das nach Freiheit klingt

und nach einer Unbekümmertheit

wie sie sich nur ein Kind beim Erwachsenwerden

hart umkämpfen und neu gewinnen kann.

 

Ihre Nase zuckt für gewöhnlich kaum merklich

immer in Erwartung eines frohen Frühlingsduftes

Ihr Mund trägt Verschmitztheit in den Winkeln

Ihre Stimme

ist sanft und kraftvoll

mal behutsam, mal triumphierend

aber immer so, dass man in all ihrer Gefestigtheit wohl ahnt:

sie klang auch schon mal brüchig, zitternd

oder klang nach nichts mehr

eine Stimme, die wohl auch das Verlorensein kennt

und darum ist ihre Gefestigtheit von einer solchen Art

die ihr beharrliches Herz offenbart

ein Herz, das die Arme weit ausgebreitet hat

komme, was wolle.

 

Die Liebe zum Leben

ist für eines bekannt: Ihren Trotz

 

Sie geht aufrecht

gerade so, dass einem niemals auch nur im Traum einfallen würde,

sie wäre hochnäsig

wäre ein Stück zu stolz

oder gar auf subtile Art arrogant

nein

sie schreitet erhobenen Hauptes

und Du kannst nicht anders, als zu ahnen

dass sie es auf diese Weise, wie sie es nun mal tut,

nur kann,

weil sie schon mal gestolpert ist

und sich irgendwie wieder gefangen hat

weil sie schon am Boden lag

und wieder aufgehoben wurde

weil sich vor ihr schon Abgründe aufgetan haben

sie schiere Bodenlosigkeit gespürt hat

und unsagbar haltloses Fallen

und dennoch

weiß sie von einem urplötzlichen Getragen-Sein

das Schwerkraft lähmt

und Herzen hebt.

Und die Art, mit der sie unübersehbar aufrecht ihr Haupt trägt

erzählt davon, dass sie Grund genug dazu hat.

​

​

©2023 Jelena Herder

​

​

...Fortsetzung folgt...   :)